Was wir mit dem Pilotprojekt in Kenia gemeinsam haben

In Kenia läuft seit einiger Zeit ein Grundeinkommensexperiment, das kürzlich erste Ergebnisse veröffentlichte. Wir stellen sie Ihnen vor und schauen, wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Pilotprojekt Grundeinkommen liegen.

Jannik Gronemann
07.02.2024

Auch wenn wir mit dem Pilotprojekt angetreten sind, um Schwachstellen von bisherigen Forschungsprojekten zum Grundeinkommen auszugleichen, steht eins fest: Es braucht nicht nur unsere Studie, sondern Forschungsansätze mit unterschiedlichsten Blickwinkeln, damit die Diskussion rund um das Grundeinkommen auf den Boden der Tatsachen geholt werden kann.

Zuletzt haben wir Ihnen einige solcher internationalen Forschungsprojekte vorgestellt, die ebenfalls die Wirkung von Grundeinkommen testen. Ein Projekt, das in Kenia gerade Wellen schlägt, hat unsere Aufmerksamkeit aber nochmal besonders auf sich gezogen. Woran das liegt, wie sich das Projekt vom Pilotprojekt unterscheidet und wo Schnittmengen liegen, erklären wir in diesem Artikel.


Worum geht es?

Die US-amerikanische NGO “GiveDirectly” zahlt den BewohnerInnen von 195 Kenianischen Dörfern seit 2016 eine bedingungslose Geldsumme. Das Projekt läuft bis 2028 und erreicht etwa 23.000 Menschen. Damit ist sie die weltweit größte und längste Studie zu den Effekten eines Bedingungslosen Grundeinkommens.


Gemeinsamkeiten

Film

Viele Einblicke für die Öffentlichkeit können die meisten wissenschaftlichen Studien leider nicht bieten. Zum einen, weil es die Ergebnisse zu sehr verzerren könnte und zum anderen, weil ihr Forschungsobjekt oft wenig Bezugspunkte für die generelle Öffentlichkeit bietet. Am Ende steht das Ergebnis dann in einem Paper und hofft auf wenigstens etwas Aufmerksamkeit. 

Beim Bedingungslosen Grundeinkommen ist das zum Glück anders. An der Erforschung neuer Konzepte zur sozialen Absicherung sind viele Menschen interessiert, da es ihr eigenes Leben grundlegend verändern könnte.

Dementsprechend war den FilmemacherInnen Sam Soko und Lauren de Fillipo sofort klar, dass sie das Kenianische Grundeinkommensexperiment filmisch begleiten wollen, als sie davon hörten. In ihrer Dokumentation “Free Money” geben sie uns Einblicke in das Leben der TeilnehmerInnen des Projekts und was die Zahlung, die sie direkt auf ihr Handy erhalten, für sie verändert.

Der Film scheut sich auch nicht davor, kritische Fragen zu stellen. Beispielsweise, ob es moralisch verwerflich ist, wenn eine westliche Organisation Kenia als Testobjekt nutzt und so massiv in ein lokales Ökosystem eingreift, das nicht an der Dorfgrenze endet.

Leider ist der Film in Deutschland bisher nur auf Filmfestivals zu sehen gewesen und online nur in anderen Ländern verfügbar. Mit dem Trailer können Sie sich einen ersten Eindruck verschaffen:

Aber was hat das jetzt eigentlich mit dem Pilotprojekt zu tun? Tatsächlich wurde auch das in der gesamten Zeit - von seiner Entstehung bis zur Zielgeraden - filmisch begleitet. Wo und wann es diese Eindrücke zu sehen gibt, erfahren Sie schon bald über unseren Newsletter.

Übrigens: Da “Free Money” nur die ersten 5 Jahre des 12 Jahre dauernden Projekts einfängt, ist eine Fortsetzung fest geplant. In einem Interview kündigte Regisseur Soko an, dafür den Blick weiten zu wollen. So soll das Grundeinkommen auf einem globaleren Level betrachtet werden.

Spendenbasiert

Die Geschichte der Grundeinkommensforschung zeigt, dass staatliche Beteiligung immer wieder ein Hindernis auf dem Weg zu neuen Erkenntnissen war. So wurden bereits zahlreiche Projekte nach einem Regierungswechsel vorzeitig beendet oder Forschungsvorhaben unnötig zurechtgestutzt.

Umso wichtiger ist es deshalb, gerade bei lang angelegten Projekten eine unabhängige Finanzierung zu sichern. Genau wie unsere Studie setzt GiveDirectly deshalb auf Spenden.

Anders als beim Pilotprojekt Grundeinkommen, das finanziell nur durch die Spenden von 210.000 Einzelpersonen getragen wird, bekommt das GiveDirectly-Projekt aber auch Unterstützung von Unternehmen aus der Tech-Branche. Einfluss auf die Ausgestaltung der Forschung sollen diese aber nicht haben.

Eine Protagonistin lässt prüfen, ob sie nicht doch am Grundeinkommensexperiment teilnehmen kann. Foto: Dogwoof

Zeitliche Limitierung

Es gibt kein Drumherumreden: Fast alle Forschungsprojekte zum Bedingungslosen Grundeinkommen müssen mit einem Hindernis umgehen. Sie haben den Anspruch, eine Welt zu erforschen, in der Menschen ihr Leben lang abgesichert sind. Da Budget und Zeit aber limitiert sind, können sie sich dieser idealen Welt nur annähern. Heißt: Jede Studie endet irgendwann und damit auch der Bezugszeitraum der Zahlung.

Das Pilotprojekt endet im Juni nach drei Jahren. GiveDirectly hat sein Projekt sogar auf 12 Jahre angesetzt. Aber trotz dieser hoch angesetzten Länge wird deutlich, dass die TeilnehmerInnen der Studie das Ende bereits in ihre Pläne einbeziehen. So erzählt die örtliche Projektmanagerin in der Doku “Free Money”, dass viele TeilnehmerInnen den Anspruch an sich selber geäußert hätten, die eigene Situation zum Ende des Projekts verbessert zu haben.

Ob dieser Aspekt auch beim Pilotprojekt einen Einfluss genommen hat, werden wir noch herausfinden. Festzustellen ist aber, dass der sozioökonomische Kontext in Kenia natürlich ein gänzlich anderer ist.

Unterschiede

Hauptziel: Reduzierung von extremer Armut vs. Ergebnisoffenheit

Anders als das Pilotprojekt ist GiveDirectly darauf ausgerichtet, extreme Armut zu reduzieren. Entsprechend stellt Mitgründer Michael Faye die eigene Arbeit auch immer wieder in einen direkten Vergleich zu klassischen Hilfsorganisationen. Diese hätten in Kenia zu Recht einen zweifelhaften Ruf, da sie paternalistisch versucht hätten zu entscheiden, was die hilfsbedürftigen Menschen vor Ort brauchen.

Diesen Menschen stattdessen einfach Geld zu geben und sie selbst entscheiden zu lassen, wofür sie es ausgeben, sieht Faye dabei als klar überlegenen Ansatz, um extreme Armut zu beseitigen. Auch wenn es sich hier also um ein Forschungsprojekt zum Grundeinkommen handelt, das auch Effekte abseits des Ökonomischen untersucht, ordnet sich all das dem Hauptziel der Armutsreduktion unter.

Kollektive vs. individuelle Effekte

In Europa gab es immer wieder Vorstöße, die Politik mit Volksentscheiden von der Notwendigkeit eines staatlich initiierten lokal begrenzten Grundeinkommensversuchs zu überzeugen. Erfolg hatte bisher keine dieser Initiativen.

Beim Kenianischen Projekt wird jetzt genau das möglich: Dadurch, dass gesamte Dörfer ausgewählt wurden, lassen sich nicht nur die individuellen Effekte eines Grundeinkommens untersuchen, sondern auch kollektive: Verändert sich die Demografie? Was passiert mit der Infrastruktur? Gibt es Einfluss auf die Kriminalitätsrate?

Indem gesamte Dörfer Grundeinkommen erhalten, werden kollektive Effekte sichtbar. Foto: Dogwoof

Da beim Pilotprojekt Grundeinkommen in ganz Deutschland verteilte Einzelpersonen Grundeinkommen erhalten, kann die Studie solche kollektiven Effekte leider nicht abbilden. Dem muss man allerdings hinzufügen, dass dies auch kein unumstrittenes Unterfangen ist, weil soziale und ökonomische Systeme eben nicht an der Dorfgrenze enden: Das Grundeinkommen zirkuliert also nicht in einem geschlossenen System und kann so auch schwerer untersucht werden.

Zwischenergebnisse

Ein weiterer Unterschied liegt auf der Hand: Das Kenianische Grundeinkommensexperiment hat im Gegensatz zum Pilotprojekt bereits erste Zwischenergebnisse veröffentlicht. Und die sind jetzt schon hochinteressant.

Um sie einordnen zu können, müssen wir aber erstmal festhalten, dass es in der Studie vier Gruppen gibt:

Gruppe 1: 5.000 Menschen, die 12 Jahre lang jeden Monat 22,50 Dollar erhalten

Gruppe 2: 8.800 Menschen, die nur 2 Jahre lang jeden Monat 22,50 Dollar erhalten

Gruppe 3: 8.800 Menchen, die direkt am Anfang 500 Dollar erhalten

Gruppe 4: 11.000 Menschen, die kein Geld erhalten - die Kontrollgruppe

Alle Gruppen, die Geld erhielten, schnitten bei den Entwicklungsindikatoren besser ab als die Kontrollgruppe: Sie waren gesünder, litten weniger unter Hunger. Faul wurden sie nicht und gaben ihr Geld relativ produktiv aus: Für bessere Ernährung und Bildung. Zu Inflation kam es dabei übrigens nicht, da sich die gesteigerte Nachfrage auf neue Produkte verteilte.

Ein besonderer Unterschied zeigte sich zwischen der Gruppe, die das Geld auf einen Schlag bekam, und den Menschen, die ein monatliches Grundeinkommen erhielten. Finanziell gesehen stand Gruppe 3 weitaus besser da: Sie verdiente mehr, gründete mehr und gab mehr für Bildung aus.

Einigen TeilnehmerInnen ermöglicht das Grundeinkommen ein Studium in Nairobi aufzunehmen. Foto: Dogwoof

Erklären lässt sich das damit, dass ihnen das hohe Startkapital sofort ermöglichte, zu investieren - ohne erst sparen zu müssen.

Interessanterweise wusste sich Gruppe 1 selbst zu helfen, um auch auf größere Summen zugreifen zu können. Dafür gründeten sie private Spargruppen, bei denen alle Teilnehmenden einzahlen und nacheinander eine größere Summe entnehmen, um sich größere Investitionen zu ermöglichen. Diese Technik ist in Entwicklungsländern relativ üblich.

Einen großen Vorteil hatte die monatliche Auszahlung aber: Die EmpfängerInnen waren zufriedener, entspannter und zeigten eine bessere psychische Gesundheit. Aus ExpertInnenkreisen wird vermutet, dass das an der gebotenen Stabilität liegt. Eine große Geldsumme wiederum ermöglicht viel, aber geht auch mit dem Druck einher, das Geld richtig investieren zu müssen.

Grundeinkommensforschung bleibt eine Gruppenarbeit

Diese Gegenüberstellung vom Kenianischen Grundeinkommensexperiment und dem Pilotprojekt Grundeinkommen zeigt, wie komplex und vielschichtig Grundeinkommensforschung ist. Projekte, die das Ziel verfolgen, neue und wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zum Grundeinkommen zu gewinnen, sind sich auf den ersten Blick oft sehr ähnlich, aber beim genaueren Hinsehen lässt sich feststellen, dass es zahllose Wege gibt, diese Forschungsdesigns zu gestalten.

Letztlich bleibt die Grundeinkommensforschung aber eine Gruppenarbeit, bei der sich die unterschiedlichen Ansätze gegenseitig befruchten und nach und nach zu einer fundierten Wissensbasis verdichten, die es EntscheidungsträgerInnen leichter macht, das gesellschaftliche Potenzial des Grundeinkommens objektiv einschätzen zu können.

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