Der New Yorker Risikokapitalgeber Albert Wenger sieht in einem Bedingungslosen Grundeinkommen einen zentralen Baustein, um die Folgen der Digitalisierung zu bewältigen. Im Interview erklärt er, dass es für Arbeitende eine neue Form der Teilhabe am Wirtschaftsgeschehen braucht, weil sich das Verhältnis von Arbeit und Wertschöpfung zunehmend entkoppelt. Mit Grundeinkommen könnten Menschen herausfinden, wie sie Maschinen sinnvoll ergänzen – und nicht mit ihnen konkurrieren.
Herr Wenger, wenn von der Digitalisierung gesprochen wird, dann denken viele an Apps und Smartphones. Was ist die Digitalisierung aus Ihrer Sicht?
Albert Wenger: Sie ist eine fundamentale Transformation dessen, wie Menschen leben können – so fundamental wie die Erfindung der Landwirtschaft vor 10.000 Jahren und die Erfindung industrieller Prozesse vor 200 Jahren.
Was ist das Revolutionäre daran?
Albert Wenger: Bei all diesen Revolutionen ging es darum, wie sich das Verhältnis von menschlicher Arbeitskraft und Wertschöpfung verändert hat. Dafür ein kurzer Blick in die Geschichte: Als der Mensch erkannte, dass er mit Pflug und Spaten den Boden bearbeiten kann, konnte er sich effizienter versorgen, sesshaft werden – und sich mit neuen Innovationen beschäftigen. Als im 19. und 20. Jahrhundert die Industrialisierung begann, war es effizienter, menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen. Allerdings brauchten diese neuen Maschinen weiterhin Arbeiter, die sie bedienten.
Mehr Maschinen bedeuteten also trotzdem immer: mehr Arbeit. Ist die Wirtschaft gewachsen, so hat das Kapital profitiert und die Arbeiter auch. Vor dreißig Jahren kam es dann zum großen Bruch: Die digitale Technologie ermöglicht etwas, das in der physischen Welt nicht möglich war: Null-Grenzkosten. Das bedeutet, dass Vervielfältigung keine zusätzlichen Kosten produziert. Eine Person mehr, die ein Youtube-Video anschaut, produziert keine weiteren Kosten, bringt aber zusätzlichen Werbeumsatz. Eine Person mehr, die ein Auto fahren will, produziert enorme Herstellungskosten.
Für einen IT-Unternehmer klingt das doch erstmal ziemlich gut, oder?
Albert Wenger: Ja, aber es wird auf der Systemebene zu einer Reihe von Problemen führen, die auch Unternehmer betreffen. Unser Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme basieren auf positiven Grenzkosten. Wenn ein Produkt keine Grenzkosten hat, produziert es auch keine sozialversicherungspflichtige Arbeit – und damit keine Verteilung des Wohlstandes über den Arbeitsmarkt. Während Arbeiter zunehmend in prekären und oft mehreren Jobs im Dienstleistungssektor arbeiten, schöpfen einige wenige Marktführer die Profite ab. Es gibt also Wirtschaftswachstum, das nur den Kapitalgebern zugute kommt.
Welche Folgen hat das für unsere Gesellschaft?
Albert Wenger: Die große Entkopplung von Kapital und Arbeit führt zur Spaltung der Gesellschaft. Während die Reichen immer reicher werden, verlieren viele ihre Jobs in der Industrie oder nehmen in prekären Jobs ihre Arbeitsaufträge von Maschinen entgegen und bekommen von Apps ihren Schicht- und Tourenplan vorgegeben. Sie haben das Gefühl, wenigstens relativ hinten dran zu sein.
Das Problem ist, dass die Politiker die fundamentalen Veränderungen durch die Digitalisierung entweder nicht erkennen oder leugnen und behaupten, kleine Eingriffe würden reichen – ein Umschulungsprogramm hier, etwas Zinspolitik dort – und schon sei wieder alles schön und gut wie früher im Industriezeitalter.
Für immer mehr Menschen ist diese Story nicht glaubwürdig. Und genau dann kommen Populisten wie Donald Trump und andere an die Macht, die ihnen vermeintliche Sicherheit durch eine Rückkehr in die Vergangenheit vorgaukeln.
Aber was passiert mit den Arbeitsplätzen, wenn die Maschinen übernehmen?
Albert Wenger: Bei diesem Thema herrscht große Verwirrung. Das liegt daran, dass wir seit der Industriellen Revolution Wert in erster Linie über bezahlte Arbeit definieren. Wir glauben, dass diejenigen, die mehr Geld verdienen, offenbar die wichtigere Arbeit machen. Aber das stimmt nicht. Die wichtigste Arbeit ist oft unbezahlt: Sich um Kinder, Eltern oder Freunde zu kümmern, etwas zu forschen, was andere Leute für verrückt halten, das aber für die Zukunft wichtig sein könnte. Einstein musste im Patentamt arbeiten, weil ihm niemand für seine Forschung Geld geben wollte.
»Das Problem ist, dass die Politiker die fundamentalen Veränderungen durch die Digitalisierung entweder nicht erkennen oder leugnen.«
Oder schauen wir auf die Klimakrise: Wir müssen sehr dringend Lösungen zur Bewältigung dieser Krise finden, aber nur sehr wenige Leute können dafür bezahlt werden, weil es keinen Markt dafür gibt.
Wir werden nie darunter leiden, dass es keine interessanten und wichtigen Aufgaben gibt, denen wir uns widmen sollten. Damit wir das tun können, müssen wir Arbeit und Wertbemessung entkoppeln.
Nun sind ja Arbeit und Wertbemessung, also Einkommen, aber noch nicht entkoppelt. Das heißt wir müssen zunehmend mit den Maschinen konkurrieren, um unser Einkommen zu sichern. Wie können wir Menschen denn mit Maschinen konkurrieren?
Albert Wenger: Wir müssen zunächst einmal die Basis dafür schaffen, dass Menschen nicht auf dem Arbeitsmarkt sein müssen, wenn sie das nicht wollen. Genau wie die Gewerkschaften damals extrem wichtig waren, um das komplementäre Verhältnis zwischen Menschen und nicht-intelligenten Maschinen zu regeln, wird das Grundeinkommen extrem wichtig sein, um das Verhältnis zwischen Menschen und den sie ersetzenden intelligenten Maschinen zu regeln.
So lange ich unbedingt arbeiten muss, um zu überleben, habe ich keine Verhandlungsmacht. Wenn ich aber ein Grundeinkommen hätte, könnte ich „Nein“ sagen und bessere Arbeitsbedingungen verhandeln. Damit also Technologie dem Menschen nützt und ihm nicht schadet, müssen wir das Machtverhältnis auf dem Arbeitsmarkt verändern – indem wir ein Bedingungsloses Grundeinkommen einführen.
Länder, deren Gewerkschaften während der Industrialisierung das Machtverhältnis zwischen Maschinen und Arbeit gut geregelt haben, wie zum Beispiel Deutschland, haben stärker von der Industrialisierung profitiert. Genauso werden heute die Länder, die das Grundeinkommen verstehen und einführen, sehr viel schneller und besser in das nächste Zeitalter – das Wissenszeitalter – kommen.
Das Grundeinkommen ist dabei natürlich kein Allheilmittel, aber ein zentraler Baustein zur Bewältigung der digitalen Revolution.
Aber Menschen wollen doch erwerbsarbeiten! Jetzt sagen Sie denen, dass sie ohnehin nicht mit den Maschinen konkurrieren können und speisen sie mit 1.000 Euro ab. DGB-Chef Hoffmann nennt das die „Stilllegungspauschale“.
Albert Wenger: Wir müssen wieder dahin kommen, nicht mit Maschinen zu konkurrieren, sondern komplementär zu ihnen zu sein. Wir müssen uns auf die Fähigkeiten konzentrieren, die vielleicht auch Maschinen ausüben könnten, die wir aber lieber von Menschen erledigt haben wollen. Menschen gehen zum Beispiel mehr denn je in Konzerte und das, obwohl man überall mit einem Fingerdruck jeden Song der Welt abspielen könnte – sobald es eine Coronavirus-Impfung gibt, wird das wieder so sein.
»Wir müssen uns auf Tätigkeiten konzentrieren, die wir lieber von Menschen erledigt haben wollen.«
Wir könnten auch Kochroboter bauen, aber Menschen möchten lieber von Menschen bekocht werden, zumindest gelegentlich. Es gibt hier eine emotionale Verbindung, die es nur zwischen Menschen geben kann. Diese Tätigkeiten werden besonders gut erledigt, wenn sie freiwillig ausgeübt werden. Dabei kann nur das Grundeinkommen helfen.
Sie kennen die US-Tech-Szene von innen. Warum sind so viele Internet-Tycoone – Facebook-Gründer Chris Hughes und Mark Zuckerberg, Elon Musk und Twitter-Chef Jack Dorsey – so begeistert vom Grundeinkommen? Wollen die damit heimlich die Menschen ruhigstellen und mit Cash versorgen, damit sie auch weiterhin konsumieren können, nachdem sie von den Internetkonzernen arbeitslos gemacht worden sind?
Albert Wenger: Ich kann hier nicht für andere sprechen. Aber wahr ist, dass viele in der Szene sehr gut das Potenzial der neuen Technologie verstehen und sehen, dass ein blindes „Weiterso“ katastrophale Folgen hätte. Der große Fehler, den wir seit 20 Jahren machen, ist, zu glauben, dass wir die Gesellschaft unter digitalen Produktionsverhältnissen nicht radikal umbauen müssten. Dass wir glauben, ein kleinschrittiger Inkrementalismus reiche, weil digitale Maschinen genauso funktionierten, wie die Maschinen, die wir die letzten 200 Jahre benutzt haben. Aber das ist falsch.
Dieser Artikel ist auch erschienen im Magazin zum Pilotprojekt.
Read the English version of this article in our Basic Income Pilot Project Magazine.
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