»Was passiert wirklich im alltäglichen Leben der Menschen mit Grundeinkommen?«
Prof. Dr. Antonio Brettschneider bekommt laufend Antworten auf diese Frage, denn er trifft die Teilnehmer*innen regelmäßig zu Interviews. Im Gespräch mit uns gibt er Einblicke in die qualitative Forschung und typische Reaktionen auf die Studienteilnahme.
Kannst du dich kurz vorstellen und erklären, was du beim Pilotprojekt machst?
Antonio Brettschneider: Mein Name ist Antonio Brettschneider. Ich bin Professor für kommunale Sozialpolitik an der Technischen Hochschule Köln, ich bin Soziologe und Politikwissenschaftler und im Prinzip Sozialpolitik-Experte. Und ich führe beim „Pilotprojekt Grundeinkommen“ bei der Begleitforschung qualitative Interviews.
Wieso nutzen wir in unserer Studie überhaupt qualitative Interviews?
Antonio Brettschneider: Der Hauptfokus der Studie liegt auf quantitativer Forschung. Das heißt, die Leute füllen Fragebögen aus und die werden dann nachher ausgewertet. Es gibt insgesamt sieben Zeitpunkte, an denen Fragebögen ausgefüllt werden - also alle sechs Monate. Und dann gibt es ergänzend dazu diesen qualitativen Teil. Da werden vertiefende Interviews geführt und das mache ich. Dazu werde ich mich insgesamt dreimal mit den Proband*innen treffen.
Was kann man auf diese Art über das Grundeinkommen lernen?
Antonio Brettschneider: Die quantitativen Fragebögen, die zeigen vielleicht eine zeitliche Entwicklung auf, wenn es darum geht, wie ist dein Wohlbefinden? Oder: Wie sieht deine Situation insgesamt aus? Qualitative Forschung zielt darauf ab, die Wege dahinter, die subjektiven Wahrnehmungen der Menschen aufzunehmen und systematisch analysieren zu können. Also, was passiert eigentlich wirklich im alltäglichen Leben der Menschen, wenn sie so ein Grundeinkommen beziehen?
Und wie läuft so ein Interview dann ab?
Antonio Brettschneider: Ich habe bis jetzt schon zwei Interview-Wellen gemacht und die Interviews haben wir online geführt. Also die sitzen zu Hause vor ihrem Laptop und ich sitze auch vor meinem Rechner und einige habe ich auch schon zu Hause besucht, auch mehrfach.
Welche potenziellen Effekte interessieren dich bei der Studie denn besonders?
Antonio Brettschneider: Mir geht es eigentlich um einen Hauptbegriff, nämlich Autonomie, also die Selbstbestimmungsfähigkeit. Inwieweit kann ein Grundeinkommen dazu beitragen, dass Menschen in die Lage versetzt werden, ihr Leben und ihren Lebenslauf mittel- und langfristig so zu gestalten, wie sie es eigentlich möchten? Also inwieweit kann die biografische Selbstbestimmungsfähigkeit von Menschen erhöht werden, auch durch diese finanzielle Grundausstattung?
Wie war denn eigentlich der erste Kontakt mit den Proband*innen?
Antonio Brettschneider: Also ich hatte den ersten Kontakt mit den Leuten noch bevor das erste Geld geflossen ist. So 2,3,4 Wochen nachdem sie überhaupt die Nachricht bekommen haben, dass sie dazugehören und wirklich an der Studie teilnehmen. Das heißt, die Leute hatten quasi gerade erst davon erfahren, und das war bei denen noch im Kopf am Rattern.
»Qualitative Forschung zielt darauf ab, die subjektiven Wahrnehmungen der Menschen aufzunehmen und systematisch analysieren zu können.«
Und wie haben sie darauf reagiert, dass sie ausgewählt wurden?
Antonio Brettschneider: Also die allererste Reaktion war Ungläubigkeit und dann so allmählich “Nee, das stimmt wirklich. Das passiert mir jetzt wirklich.” Das ist natürlich ganz interessant, weil das Buch von Michael Bohmeyer heißt “Was würdest du tun?” und die Frage stellt sich nicht, sondern plötzlich: Was wirst du jetzt tun?
Was ich auch ganz interessant fand, ist: Mit wem bespricht man das? Also, sofort stellt sich doch die Frage: Ist das jetzt ein Geheimnis? Darf das keiner wissen? Oder wer darf das wissen? Also wie wenn man schwanger ist oder so, vielleicht. Wem erzähle ich das? Meiner besten Freundin, meiner Mutter, meinem Vater, meinem Freund, meiner Freundin? Und wer soll das erst mal nicht wissen? Es gibt ganz unterschiedliche Weisen, damit umzugehen. Manche Leute haben das total geheim gehalten, als wenn es fast peinlich wäre und andere haben direkt “Yeah” gerufen.
Manche hatten auch zuerst ein Gefühl von Druck, weil das erstmal etwas ist, das mein Leben verändert. Viele dachten zuerst: “Okay, was muss ich jetzt machen? Muss ich jetzt irgendwas machen?” Die Leute mussten sich dann teilweise erstmal ein bisschen entspannen. Es kommt irgendwann Geld auf dein Konto, aber das heißt nicht, dass du morgen früh direkt irgendwas machen musst. Also es war sozusagen erstmal Ungläubigkeit, dann Verwirrung und dann die Freude - je nach Person und Persönlichkeit und nach der momentanen Lage unterschiedlich.
Aber ganz grundsätzlich waren die Leute einfach geflasht. Das muss man so sagen.
Produziert von Marc Nikoleit
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