Nicht nur wir - auch andere wollen es wissen. Gerade im Zuge von existentiellen Dauerkrisen und rasanten Umwälzungen des Arbeitsmarktes wenden sich immer mehr Forschungsprojekte weltweit dem Bedingungslosen Grundeinkommen zu. Manche von ihnen sind schon gestartet, andere stehen kurz davor.
Aber welchen Fragestellungen widmen sich diese Projekte und inwiefern unterscheiden sie sich vom Forschungsansatz des Pilotprojekts Grundeinkommen? Wir werfen einen Blick um die Welt und stellen Ihnen fünf davon vor.
ENGLAND
Typ: Mikro-Pilotstudie
Organisation: Autonomy
Größe: 30 Proband*innen + Kontrollgruppe
Ort: Central Jarrow und East Finchley (London)
Methode: Mix aus quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden
Erkenntnisinteresse: Mentale und physische Gesundheit
Laufzeit: 2 Jahre
Höhe: 1600 £ (1840 €)
Kosten: 1.6 Millionen £ (1.84 Millionen €)
Im Gegensatz zum Pilotprojekt Grundeinkommen will diese Studie das Grundeinkommen auf lokaler Ebene testen. Die dafür ausgewählten Gemeinden zeigten im Vorfeld eine überdurchschnittlich hohe Zustimmung zur Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens.
Die 30 Teilnehmer*innen der Studie sollen die lokale Demographie repräsentativ abbilden - während eine ebenfalls lokal selektierte Kontrollgruppe kein Geld erhält, um zu sehen, wie sich ihre Erfahrungen unterscheiden. Mit Hilfe von Interviews, Fokusgruppen und Fragebögen sollen die entstehenden Effekte überwacht werden.
Will Stronge, der Forschungsleiter des hinter dem Projekt stehenden Think Tanks “Autonomy” ist überzeugt, dass das Grundeinkommen transformativ für England sein könnte. Die Dringlichkeit seines Vorhabens sieht er vor allem in der Zukunft begründet: “Angesichts der Tatsache, dass die kommenden Jahrzehnte voller wirtschaftlicher Schocks aufgrund des Klimawandels und neuer Formen der Automatisierung sein werden, wird das Grundeinkommen ein entscheidender Bestandteil der künftigen Existenzsicherung sein.”
Derzeit muss das Projekt noch final finanziert werden. Wenn es aber wie geplant umgesetzt werden sollte, erhoffen sich die Köpfe der Studie, die Machbarkeit eines englischen Grundeinkommens zu belegen und gleichzeitig ein politisches Argument dafür zu liefern.
USA
Typ: -
Organisation: -
Größe: -
Ort: -
Methode: -
Erkenntnisinteresse: -
Laufzeit: -
Höhe: -
Kosten: -
Das Silicon Valley und seine digitale Elite haben das Bedingungslose Grundeinkommen schon lange für sich entdeckt. So sprachen sich bereits Mark Zuckerberg und Elon Musk dafür aus. Auch der derzeit omnipräsente Sam Altman, Mitgründer von OpenAI, dem Unternehmen hinter dem Chatbot ChatGPT, lässt keine Gelegenheit aus, um das Bedingungslose Grundeinkommen als vielversprechenden Lösungsansatz zu thematisieren.
Der Grund dafür? Er scheint das auffangen zu wollen, was der technische Fortschritt seines AI Tools potenziell auslösen könnte: Jobverluste in großem Maße und verstärkte Ungleichheit. Ob das aus ehrlichem Verantwortungsgefühl heraus geschieht oder auch die Absicherung seiner finanziellen Interessen eine Rolle spielt, wird derzeit kritisch diskutiert.
Fest steht aber, dass aus dem von ihm gegründeten Geflecht an Unternehmen und NGOs schon diverse Projekte hervorgegangen sind, die eigene Grundeinkommensforschung durchführen oder andere Grundeinkommens-Projekte finanziell unterstützt haben.
Zuletzt ließ Altman in einem Podcast verlautbaren, dass OpenAI “die größte und umfassendste Studie zum Grundeinkommen” mitfinanziert habe. Wie diese aufgebaut ist und welchen Forschungsansatz sie verfolgt, blieb aber bislang unklar. Abgeschlossen werden soll sie allerdings noch dieses Jahr. Die Veröffentlichung der Studienergebnissen ist für Anfang 2024 vorgesehen.
Nachtrag vom Oktober 2024: Die Ergebnisse der Open Research-Studie wurden mittlerweile veröffentlicht und von uns eingeordnet.
IRLAND
Typ: Pilotstudie
Organisation: Die irische Regierung
Größe: 2000 Proband*innen + Kontrollgruppe
Ort: Irland
Methode: Quantitative Forschungsmethoden
Erkenntnisinteresse: Finanzierung von Kunst und Kreativität
Laufzeit: 3 Jahre
Höhe: 1300 € (325 € pro Woche)
Kosten: 101.4 Millionen €
Gerade Menschen im Kulturbetrieb hangeln sich oft von Projekt zu Projekt und sind außerdem auf prekär bezahlte Teilzeitjobs angewiesen, um ihre künstlerische Arbeit finanzieren zu können.
Ein Pilotprojekt, das hierfür Abhilfe schaffen will, kommt von der irischen Regierung. Während der Corona-Pandemie setzte Irlands Kulturministerin eine Task Force darauf an, herauszufinden, wie man den Kulturschaffenden beim Überleben helfen könne. Ihr Lösungsvorschlag: Ein Grundeinkommen.
Für die im April diesen Jahres geöffnete Bewerbungsphase meldeten sich insgesamt 9000 Menschen. 8200 von ihnen wurden als förderungswürdig eingeschätzt. Wovon wiederum 2000 zufällig für das Grundeinkommen ausgewählt und 1000 der Kontrollgruppe zugeteilt wurden. Von den Grundeinkommensbezieher*innen haben haben bisher aber nur wenige ihre Teilnahme an der Studie öffentlich gemacht. Wahrscheinlich auch, um keine Missgunst von KünstlerInnen, die leer ausgingen, auf sich zu ziehen.
Die Ergebnisse der Studie werden bereits sehnsüchtig erwartet. Länder wie Großbritannien, Australien, Neuseeland und Belgien haben sich schon nach den Erfahrungswerten aus Irland erkundigt. Erste Daten sollen auch tatsächlich schon lange vor dem Ende der Studie vorliegen, damit eventuelle Anschlussmaßnahmen geplant werden können und die Teilnehmer*innen nicht in ein finanzielles Loch fallen.
Ob und in welcher Form das Programm auch nach dem Projektzeitraum fortgesetzt werden könnte, hängt natürlich von den Forschungsergebnissen des Piloten ab. Diese werden hauptsächlich über Fragebögen generiert, in denen die Proband*innen alle 6 Monate detaillierte Auskunft über ihre Finanzen, ihre künstlerische Karriere und ihre Gesundheit geben.
POLEN
Typ: Pilotstudie
Organisation: Forscher*innen der Adam Mickiewicz Universität in Poznań
Größe: 5.000 - 31.000 Anwohner*innen
Ort: Woiwodschaft Ermland-Masuren
Methode: -
Erkenntnisinteresse: Berufliche, soziale und bildungsbezogene Aktivitäten. Außerdem Fragen des Wohlbefindens.
Laufzeit: 2 Jahre
Höhe: 1300 PLN (280 €)
Kosten: -
Im Nordosten von Polen, nah an der Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad, sollen bald Tausende Menschen Teil einer Studie zum Bedingungslosen Grundeinkommen werden. Ob der Minimalanspruch von 5.000 Teilnehmer*innen erfüllt wird oder es doch bis zu 31.000 werden, hängt derzeit noch von der Finanzierung ab.
Dass das Experiment genau in diesem Teil des Landes stattfinden soll, ist kein Zufall. Hohe Arbeitslosenquoten, niedrige Durchschnittseinkommen und ein stetiger Bevölkerungsrückgang plagen die Woiwodschaft Ermland-Masuren seit dem Fall des Kommunismus im Jahr 1989. Die 2018 erfolgte Schließung des Grenzverkehrs zu Russland zerstörte zudem eine wichtige Einnahmequelle der Einheimischen.
“Die Idee ist, zu sehen, wie eine solche Lösung in einer Situation funktioniert, in der wir es mit einer extrem armen Region mit extrem großen sozialen Problemen zu tun haben”, erklärt Maciej Szlinder, einer der involvierten Wirtschaftswissenschaftler, das Vorhaben.
Die Auszahlungen bedingungslos zu gestalten, und nicht etwa nur den bedürftigsten Teil der Bevölkerung zu beforschen, ist dem Team ein wichtiges Anliegen. “Dieses Experiment bringt uns näher an die Möglichkeit, zumindest in einigen Punkten, überprüfen zu können, welche Auswirkungen die Einführung eines Grundeinkommens haben könnte”, so Szlinder.
WALES
Typ: Pilotstudie
Organisation: Die walisische Regierung
Größe: 500 ehemalige Pflegekinder
Ort: Wales
Methode: Mix aus quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden
Erkenntnisinteresse: Verringerung von Armut und Arbeitslosigkeit und Steigerung von Gesundheit und finanziellem Wohlbefinden
Laufzeit: 3 Jahre
Höhe: 1600 £ (1840 €)
Kosten: 20 Millionen £ (23.03 Millionen €)
Auch dieses Pilotprojekt konzentriert sich auf eine Bevölkerungsgruppe, die sich mit besonders herausfordernden Lebensbedingungen konfrontiert sieht: In Wales will man herausfinden, ob die finanzielle Unterstützung von jungen Menschen, die zuvor in staatlicher Langzeitbetreuung waren, einen positiven Effekt auf ihren Lebensweg hat.
Die 500 Teilnehmer*innen des staatlichen Pilotprojekts müssen innerhalb des letzten Jahres volljährig geworden sein und erhalten ab ihrem 18. Geburtstag für zwei Jahre ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1600 £.
Der Erfolg des Projekts wird fortlaufend evaluiert. Dabei wird auf einen Mix aus quantitativen und qualitativen Methoden gesetzt, der außerdem durch eine ethnographische Studie ergänzt wird, die sich sowohl mit den Erfahrungen als auch mit der Wirksamkeit des Grundeinkommens-Pilotprojekts beschäftigt.
Wales Ministerpräsident Mark Drakeford gab kürzlich zu Protokoll, dass die Versprechungen des Programms sich einzulösen scheinen. Der finale Forschungsbericht der Universität Cardiff, die das Projekt begleitet, wird aber erst 2026 vorliegen. Diesen wolle er noch abwarten, um bezüglich einer Verlängerung “sicherzustellen, dass es die effektivste Nutzung öffentlicher Gelder ist”.
Auch wenn sich die Pilotstudie auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe begrenzt, sieht die walisische Regierung das Projekt als “Beitrag zu einer globalen Bewegung”. Auf der Website des Projekts heißt es hierzu: “Weltweit gibt es etwa 80 Grundeinkommensversuche unterschiedlicher Art. Jeder hat seinen eigenen Schwerpunkt, und alle bieten wichtige Erkenntnisse darüber, was ein Grundeinkommen an Vorteilen und Herausforderungen bieten kann”.
Alles hängt von der Finanzierung ab
Was durch all diese Projekte deutlich wird: Ob oder in welcher Form Grundeinkommensforschung stattfinden kann, hängt zum Großteil von der Finanzierung ab. Wenn hinter diesen Pilotstudien nicht die Regierung oder ein erfolgreiches Unternehmen steht, ist es bedeutend schwieriger, sie auf den Weg zu bringen.
Umso stolzer sind wir, dass unser Pilotprojekt Grundeinkommen rein zivilgesellschaftlich finanziert wird - von mehr als 210.000 privaten Spender*innen. Das ermöglicht uns freie Forschung unabhängig von Interessen großer Geldgeber.
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