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»Um uns um Andere kümmern zu können, brauchen wir Zeit und Ressourcen«

Kann ein Bedingungsloses Grundeinkommen die nötigen Ressourcen freisetzen, um uns sozialer und aufmerksamer zu machen? Das will Psychologin Susann Fiedler herausfinden und verrät im Interview, wie das gelingen kann.

Pilotprojekt Grundeinkommen Team
10.01.2021

Die Psychologin Prof. Dr. Susann Fiedler von der Universität Wien will wissen, wie Menschen Entscheidungen treffen. Um dabei das gesellschaftliche Wohl zu bedenken, brauchen sie möglichst viel Zeit, Autonomie und Stressfreiheit. Ob ein Grundeinkommen dies begünstigt, möchte sie beim „Pilotprojekt Grundeinkommen“ erforschen. 

Frau Fiedler, wir beobachten seit einigen Jahren eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung. Wie entsteht diese Polarisierung? 

Susann Fiedler: Polarisierung ist so alt wie die Menschheit, weil wir ein Bedürfnis danach haben, in sich stimmige Erzählungen von uns selbst zu haben. Was wir selbst tun, ist gut, was andere tun, die wir nicht mögen, ist schlecht. Im Kleinen ist das ein punktuelles Problem. Aber im Internet wird es zum gesellschaftlichen Problem, denn hier entstehen Echokammern, in denen sich gleiche Meinungen und Quellen verstärken. Zum Austausch fehlen uns so oft schon die gemeinsamen Inhalte, ohne jene es zunehmend schwierig wird, einander überhaupt noch zu verstehen. Außerdem entsteht innerhalb der Echokammern eine gesellschaftliche Norm, die die Diskriminierung der anderen Gruppe legitimiert.

Sie erforschen die Umstände, die dazu führen, dass wir andere diskriminieren. Was sind solche Umstände?

Susann Fiedler: Stellen Sie sich vor, Sie sind unter Zeitdruck und können sich deshalb nur auf die wichtigsten Dinge besinnen. Was passiert? Sie müssen priorisieren. Als Erstes kümmern Sie sich um Angelegenheiten, die Ihnen und Ihren Angehörigen wichtig sind. Je mehr Druck und Zeitmangel da ist, desto egoistischer, ausgrenzender und kurzsichtiger priorisieren Sie, auch wenn das langfristig zu Ihren Ungunsten ist. Um sich um die Bedürfnisse anderer und die der Gesellschaft kümmern zu können, brauchen Sie Zeit und kognitive Ressourcen. 

Wie erforscht man das? 

Susann Fiedler: In unseren Experimenten bringen wir Leute künstlich unter Zeitdruck oder fordern sie auf, sich lange Zahlenreihen zu merken. Diese Formen der kognitiven Belastung führen dazu, dass die Leute weniger spenden, die Bereitschaft zum Helfen sinkt und sie in Gruppensituationen weniger kooperativ sind. Wir sagen: Das prosoziale Verhalten nimmt ab. 

Prof. Dr. Susann Fiedler arbeitet an der Universität Wien. Sie beschäftigt sich damit, wie Menschen Entscheidungen treffen. Foto: Marcel Maffei

Und welche Voraussetzungen müsste man verändern, um prosoziales Verhalten zu begünstigen? 

Susann Fiedler: Einerseits gibt es unzählige präventive Maßnahmen: gute Vorbilder, ausgeprägte soziale Normen, Bildung. Aber auch Information, Androhung von Bestrafung, soziale Verträge. Wenn all das nichts hilft, dann hilft ganz akut in der Situation der drohenden Diskriminierung vor allem, den Kopf frei zu haben.

Kann Grundeinkommen dafür sorgen, dass der Kopf frei wird für prosozialeres Verhalten? 

Susann Fiedler: Das wollen wir herausfinden. Viele psychologische Theorien deuten darauf hin. Wenn zum Beispiel das Autonomieempfinden steigt, bin ich weniger kognitiv belastet und gestresst. Aber solche Experimente dauerten oft nur bis zu 30 Minuten. Darüber hinaus endet die Theorie. Interessant wird es deshalb im Feld, wo ein komplexes Gefüge aus Lebensbedingungen ineinander greift. 

Würde eigentlich ein staatliches Grundeinkommen anders wirken als unser Experiment mit 120 Menschen? 

Susann Fiedler: Auf jeden Fall. Bei unserem Experiment ist die Teilnahme ein Glücksfall. Würde der Staat das Grundeinkommen auszahlen, dann wäre das die neue Norm. Das würde die Wahrnehmung des Geldes verändern. 

»Die Empfänger könnten das Gefühl bekommen, dass andere nicht nur einen Anspruch an sie haben, sondern ein Grundvertrauen in sie und ihre Fähigkeiten. Das macht einen Unterschied.«

Ist auch wichtig, wie ausgezahlt wird? 

Susann Fiedler: Natürlich! Weil der Kontext des Geldes verändert, wie andere Menschen die Empfänger*innen wahrnehmen. Schauen wir zum Beispiel auf die Debatte rund um Hartz IV mit all den Vorurteilen und gesellschaftlichen Bewertungen. Sie sorgt dafür, dass sich Hartz-IV-Empfänger schuldig und weniger selbstwirksam fühlen. 

So entstehen aus einer – im internationalen Vergleich ziemlich hohen – Grundsicherung dennoch schlechte Gefühle bei den Empfänger*innen. 

Susann Fiedler: Ja, und die Frage ist, ob das bei einem Grundeinkommen anders wäre. Dadurch, dass es alle bekämen und die Zahlungen bedingungslos wären, könnte es sein, dass die Leute sich nicht schlecht fühlen, das Geld zu erhalten. Sie sind dann, anders als bei Hartz IV, nicht mehr diejenigen, die „dem Staat auf auf der Tasche liegen“, nicht mehr die „Faulenzer in der sozialen Hängematte“. 

Wozu könnten diese besseren Gefühle führen? 

Susann Fiedler: Die Empfänger könnten das Gefühl bekommen, dass andere nicht nur einen Anspruch an sie haben, sondern ein Grundvertrauen in sie und ihre Fähigkeiten. Das macht einen Unterschied. 

Nämlich welchen? 

Susann Fiedler: Da gibt es spannende Experimente aus der Schule, bei denen Lehrern vorab gesagt wird, ob zufällig bestimmte Schüler „gut“ oder „schlecht“ seien. Schüler, von denen die Lehrer denken, sie seien gut, werden auch besser. Also nicht nur in der Bewertung, sondern tatsächlich in ihrer Leistung. Der Vertrauensvorschuss wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Falls das Grundeinkommen als genau so ein Vertrauensvorschuss wahrgenommen wird, dann könnte das sehr viel bewegen. 

Ist das Grundeinkommen also eigentlich nur eine Placebo-Pille für bessere Gefühle? 

Susann Fiedler: Für diejenigen, die zu wenig Geld haben, ist Grundeinkommen bestimmt mehr als das. Sie brauchen das Geld, um vernünftig leben zu können. Aber wenn nur das die Wirkung von Grundeinkommen wäre, dann wäre es nicht genug. Denn die Funktion, eine Grundsicherung herzustellen, versucht Hartz IV auch heute schon zu leisten. Es kann beim Grundeinkommen auch deshalb nicht nur ums Geld gehen, weil es ja gar nicht viel mehr Geld zu verteilen gibt als heute. Es muss darum gehen, dass Menschen sich wegen der Bedingungslosigkeit in ihrer Arbeit, ihren Entscheidungen und ihrem Leben mehr wertgeschätzt fühlen und damit Raum haben, bessere Entscheidungen zu treffen. 

Apropos bessere Entscheidungen. Würden Menschen mit dem Grundeinkommen einander weniger diskriminieren und damit vielleicht die gesellschaftliche Spaltung mindern? 

Susann Fiedler: Ich bin da sehr ergebnisoffen. Aber es könnte sein. Unter Druck besinnen sich Menschen eher auf Bekanntes und suchen weniger nach neuen Informationen. Sie umgeben sich dann eher mit Leuten, die ihnen gleichen. Wenn sie hingegen Zeit und Ressourcen haben, dann haben sie den Kopf frei, dann können sie mehr aufnehmen und sozialer sein. So die Theorie. Was die Leute tatsächlich machen, werden wir sehen. Ein Grundeinkommen allein wird die gesellschaftliche Spaltung sicher nicht überwinden, aber vielleicht sorgt es ja dafür, dass mehr Menschen sich diese große Frage stellen können und sich dadurch die gesellschaftlichen Normen ändern. 


Dieser Artikel ist auch erschienen im Magazin zum Pilotprojekt.

Read the English version of this article in our Basic Income Pilot Project Magazine.

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